Mobiles Lernen – was ist das? Mobiles Lernen für kulturelle Bildungsangebote verstehen, planen und kritisieren. Und mehr.

Mobiles Lernen in #'s
Mobiles Lernen in #'s

5 Tage tAPP* in Berlin. 5 Tage intensive Praxis-, Konzeptions-, und Theoriearbeit. 5 Tage Gedanken zum Mobilen Lernen beim Musizieren mit Apps in der Kulturellen Bildungsarbeit.

* BMBF-gefördertes Weiterbildungsangebot “Zertifikatskurs tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung“. Entwickelt wurde die berufsbegleitende Weiterbildung für Musiker_innen von der Forschungsstelle App-Musik an der Universität der Künste Berlin in Kooperation mit der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel. tAPP-Website und tAPP-Blog.

Während der fünftägigen tAPP-Phase in Berlin Mitte November 2016 habe ich den Schwerpunkt „Mobiles Lernen“ betreut. Wir haben in vielen unterschiedlichen Formaten geplant, umgesetzt und reflektiert: Barcamp, Vortrag, selbstorganisierte Phasen, Unterrichtsvorbereitungen, Impulsvorträge, Diskussionsrunden, Reflexionsrunden, Sprechstunden und Konzertvorbereitungen waren die Formate, die tAPP 3.2 strukturiert haben und in denen die Kursteilnehmer*innen mit den Dozent*innen zusammen gearbeitet haben. Auch zum Mobilen Lernen.

Kontroverses zum Mobilen Lernen. Barcampeingaben.

Die zweite Phase des dritten tAPP-Durchgangs startete mit dem #tappbarcamp, einem Barcamp, das für die Teilnehmer*innen des Zertifikatskurses und für Externe offenen war.

Themen des #tappbarcamp November 2016 (Foto: Judith Seipold)
Themen des #tappbarcamp November 2016 (Foto: Judith Seipold)

Im Vorfeld hatte ich drei Themen ausgesucht, anhand derer die Barcamper unterschiedliche Aspekte des Mobilen Lernens diskutieren konnten. Wenn sie wollten. Und das hatte ich mir dazu gedacht:

Meine Eingaben für das #tappbarcamp (Judith Seipold 2016 (unveröffentlicht))
Meine Eingaben für das #tappbarcamp (Judith Seipold 2016 (unveröffentlicht))

#TeilVonMir. Warum wir Mobiltechnologien im Alltag nutzen.

Um was kann es gehen? Diverse Nutzungsszenarien, Nutzungsgründe, Gerätefunktionen etc. und die jeweils mögliche Relevanz für Schulisches Lernen und Bildung.

Warum? Weil Mobiles Lernen in der Regel aus Sicht von Schule und Bildungseinrichtungen gedacht wird und leider viel zu selten aus Sicht der Lernenden und ihrer Perspektiven, Kompetenzen, Wissen, Praktiken … Und weil hinter der Alltagsnutzung viel Potenzial für schulisches Lernen und Bildungsarbeit steckt … Und weil man (Lehrer*in) nur lernen muss, es zu erkennen und zu nutzen …

#Störfaktor. Warum wir Mobiltechnologien dringend aus Lern- und Bildungskontexten ausschließen müssen.

Um was kann es gehen? Den Ausschluss der Mobiltechnologien aus Lern- und Bildungskontexten und Strategien zur nachhaltigen Vermeidung der Nutzung solcher Geräte in Lern- und Bildungskontexten.

Warum? Weil Mobiltechnologien nicht zu Unterricht, Lehren und Lernen gehören. Sie sind teuer und wartungsintensiv. Sie lenken die Lerner*innen ab, verursachen Elektrosmog, sind Tor zu social media, die im Unterricht sowieso nichts zu suchen haben. Und Lehrer*innen können sich nicht auch noch um die Technik kümmern, sich mit rechtlichen und ethischen Dimensionen befassen und ihren Unterricht schon wieder auf eine neue Technologie ausrichten. Also: Weg damit!

#Alleskönner. Warum wir nicht auf Mobiltechnologien in Lern- und Bildungskontexten verzichten dürfen.

Um was kann es gehen? Den bedarfsorientierten und nachhaltigen Einsatz von Mobiltechnologien in Lern- und Bildungskontexten.

Warum? Wir haben die Möglichkeiten, also machen wir. Mobiltechnologien sind Teil unseres Alltags, also muss Schule und Bildung auch machen. Mobiltechnologien eröffnen neue Lernräume, Lernformen, Bildungsperspektiven, also initiieren wir. Mobiles Lernen ist Teil Lebenslangen, nachhaltigen und personalisierten Lernens. Also leiten wir an.

Letztlich habe ich mich dazu entschieden, #TeilVonMir vorzuschlagen. Auf dem folgenden Foto ist die nicht ganz vollständige Liste unseres 20-miütigen Brainstormings zu sehen.

Nutzung von Mobiltechnologien im Alltag (Foto: Judith Seipold)
Nutzung von Mobiltechnologien im Alltag (Foto: Judith Seipold)

Konsequenzen, die man für Lehren und Lernen daraus ziehen kann, haben die Barcamper*innen je nach individueller Perspektive selbst festgehalten. Beispiel: Warum nutze ich welche Funktion? Aufgrund welchen Interesses oder welcher Absicht nutze ich welche Mobiltechnologie? Welche Rolle kann man mir dabei zuschreiben? Welche Handlungskompetenzen und kulturelle Praktiken realisiere und etabliere ich in einer bestimmten Rolle? Welches Wissen rufe ich ab oder eigne ich mir an? Wie sind diese(s) Praktiken, Kompetenzen und Wissen für Schule und Bildung nutzbar? So war das.

M-Learning basics. Geballt und unverhohlen. Ein Vortrag.

Tag zwei startete mit meinem Vortrag „Mobiles Lernen – was ist das? Mobiles Lernen für kulturelle Bildungsangebote verstehen, planen und kritisieren.“ 60 Minuten und kein Entkommen. Ziel? Mobiles Lernen nicht nur als Lernen mit tragbaren digitalen Technologien zu sehen, sondern um

  • eine Idee davon zu entwickeln, welche wissenschaftlichen Disziplinen sich mit dem Mobilen Lernen befassen, wie die M-Learning-Diskussion in den vergangenen Jahren verlaufen ist und welche Schwerpunkte die pädagogische Forschung im Bereich des M-Learning zurzeit setzt.
  • einen Überblick zu bekommen, welche Funktionen Mobiltechnologien beim Lernen haben können, welche Apps, tools und konvergente Technologien in der gängigen Praxis eine Rolle spielen und wie die klassischen Anwendungsszenarien aussehen.
  • sich knapp vor Augen zu führen, wie Mobiles Lernen aktuell theoretisch eingeordnet wird und wie man Mobiles Lernen alltagsnah, kulturtheoretisch und subjektzentriert rahmen und verstehen kann.
  • sich kritisch zu didaktischen Aspekten zu positionieren und Möglichkeiten und Konsequenzen diverser Implementierungsstrategien abzuschätzen
  • Impulse für die systematische und nachhaltige Durchführung von eigenen M-Learning-Projekten aufzugreifen
  • Mobiles Lernen auch als „zeitgemäßes Lehren und Lernen mit aktuell verfügbaren Technologien“ zu sehen.
Mobiles Lernen – was ist das? Aufruf zur kontinuierlichen Reflexion während des Vortrags (Judith Seipold 2016b)
Mobiles Lernen – was ist das? Aufruf zur kontinuierlichen Reflexion während des Vortrags (Judith Seipold 2016b)

Dieser Vortrag bot den Kursteilnehmer*innen Anknüpfungspunkte an die Barcamp-Session und bildete gleichzeitig die Grundlage für die weitere gemeinsame Arbeit in den darauffolgenden Tagen, an denen wir immer wieder auf unterschiedliche Aspekte aus der Präsentation zurückgekommen sind.

Der Sprung ins dann doch nicht so kalte Wasser. Eine App-Musik-Doppelstunde in einer Kreuzberger Grundschule.

Nachdem die Kursteilnehmer*innen an den ersten zwei Tagen mit Unterstützung zweier Lehrer mehrere Einheiten mit den Vorbereitungen ihrer Schulprojekte verbracht hatten, stand am Montag die Durchführung an zwei Berliner Schulen an. Ich habe zwei Gruppen an eine Kreuzberger Grundschule begleitet und dort als Beobachterin an ihren Unterrichtsstunden teilgenommen. Die Rahmendaten:

  • Zeitrahmen für den Unterricht: 90 Minuten;
  • Schüler_innen: 6. Klasse;
  • Fächerbezug: Musikunterricht;
  • Thema: Musizieren mit Apps;
  • Ziel: Ein Musikstück mit einer von zwei Apps erstellen und am Ende in Ensembles und als Orchester vortragen.
 Technik für die Präsentation in Ensembles und als Orchester (Foto: Judith Seipold)

Technik für die Präsentation in Ensembles und als Orchester (Foto: Judith Seipold)

Die Gruppe, mit der ich am Nachmittag in die Reflexion einsteigen sollte, unterrichtete eine 6. Klasse mit ca. 20 Schüler*innen. Als Ziel hatte sich die Lehrer*innengruppe gesetzt, die Schüler*innen mithilfe einer App ein Musikstück erstellen zu lassen, das die Schüler*innengruppen am Ende vor der Klasse vorführen sollten. Das lief sehr strukturiert und ist sehr gut gelungen. Die Schüler*innen hatten nicht nur 90 Minuten Spaß, sondern neue Erfahrungen mit dem etwas anderen Musizieren gemacht und sich als Komponist*innen und Musiker*innen versucht. Dass sich die Schüler*innen solch einen Unterricht auf in Zukunft wünschen würden, haben sie der Lehrer*innengruppe gesagt. Dass sie dabei besonders auf Eigenständigkeit, Selbstgesteuertes Lernen, Produktorientierung und für sie neue Präsentationsformen stolz waren, zeigen Kommentare wie „Das hat Spaß gemacht!“, „Die Lehrer sollen wiederkommen!“, „Dass man am Ende präsentieren darf, was man gemacht hat.“ und „Dass man selbständig arbeiten kann und nicht machen muss, was die Lehrerin sagt.“.

Mobile Learning revisited. Reflexion der Unterrichtsstunde.

Im Anschluss an die Unterrichtsstunde stand die Reflexion in den jeweiligen Lehrer*innengruppen an. Eine für die Kursteilnehmer*innen wichtige, intensive und erkenntnisreiche Einheit. Für die Reflexion hatte ich drei Abschnitte vorgesehen:

  1. Beschreibung des Unterrichtsablaufs und von Lehren und Lernen.
  2. Interpretierend Erkenntnisse formulieren.
  3. Die Erkenntnisse in tipps & tricks für weitere Praxisprojekte überführen.

Beschreibung

Im ersten Teil „Beschreibung“ haben wir die Reflexionskategorien herangezogen, die ich bereits in der vergangenen Phase genutzt hatte. Die Lehrer*innen empfanden diesen Leitfaden als einleuchtend und er hat sich in der Reflexionspraxis als praktikabel erwiesen:

  • Phasen der Unterrichtsstunde
  • Schüler*innen
  • Lehrer*innen
  • Didaktik (Vorbereitung und Organisation von Lehren und Lernen, inkl. Infrastruktur)
  • Ressourcen (Informationen ∙ Technologien ∙ Lernprodukte)
  • Sonstiges (Positives ∙ Negatives)

Phasen der Unterrichtsstunde

Ausgehend von den 5 Phasen, die ich im vergangenen tAPP-Durchgang im Mai 2016 als Struktur eines der Unterrichtsprojekte herausgestellt hatte, haben wir damit begonnen, den Unterrichtsablauf zu beschreiben. Im Laufe der Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Durchführung wurde klar, dass die 5 Phasen ergänzt werden müssen, um den Reflexionsprozess der Schüler*innen zu berücksichtigen, die Rückbindung der Lernziele an die Lernaktivitäten zu schaffen und auch infrastrukturelle und organisatorische Aspekte wie Aufbau und Abschluss zu reflektieren. Das Ergebnis sind diese acht Punkte:

  1. Aufbau
  2. Initiale Phase
  3. Aneignungsphase
  4. Erarbeitungsphase
  5. Kompositionsphase
  6. Präsentationsphase
  7. Diskussions- und Reflexionsphase
  8. Abschluss

So entstanden im Laufe des gemeinsamen Evaluationsprozesses neben den umfangreichen und teils sehr detaillierten Beschreibungen und Analysen der einzelnen Phasen die „8 möglichen Phasen einer App-Musik-Unterrichtsstunde“. Wie diese acht Phasen miteinander in Verbindung stehen, habe ich in der Nachbereitung der Reflexion grafisch aufbereitet:

8 mögliche Phasen einer App-Musik-Unterrichtsstunde (Judith Seipold)
8 mögliche Phasen einer App-Musik-Unterrichtsstunde (eigene Darstellung)

Am Anfang (1) und am Ende (8) der Unterrichtsstunde stehen infrastrukturelle und organisatorische Aspekte, die Grundlage für Lernaktivitäten bilden und der Unterrichtseinheit einen geschlossenen Rahmen geben. In der initialen Phase (2) werden Ziele der Unterrichtsstunde vorgestellt und erläutert und der Ablauf der Stunde besprochen. Die Ziele werden in der Reflexionsphase (7) wieder aufgegriffen, reflektiert, evaluiert und so auf eine Metaebene gehoben. Es folgt in Schritt 3 der Praxisteil, der sich um die Erstellung eines Musikstückes (hier: Komposition) dreht. Das Musikstück steht im Zentrum, wird jedoch eingeleitet von der Aneignungsphase (3), in der sich die Schüler*innen mit der Technik vertraut machen und der Erarbeitungshase (4), in der sie ihr Musikstück vorbereiten und erstellen. Das fertige Produkt (hier: Komposition) steht an Stelle (5), bevor die Schüler*innen die Kompositionseinheit, die mit der grünen gestrichelten Linie markiert ist, mit ihrer Präsentation (6) – in diesem Fall Vorführung in Ensembles und als Orchester – abschließen.

Um das Schema auch auf andere Projekte zu beziehen, die nicht wie hier eine eigene Komposition zum Ziel haben, sollte man einige Begriffe austauschen, wie mir ein Musiker sagte. So ist Komposition vermutlich nicht der passende Begriff und sollte besser durch so etwas wie „Produkt“ oder „Musikstück“ ersetzt werden. Und vor die Präsentation setzen Musiker eine Übungsphase, um zu justieren und für die Aufführung vorbereitet zu sein. Somit würde aus diesem exemplarischen Unterrichtsablauf ein 9-Phasen-Modell. Für die Planung, Durchführung und Reflexion künftiger App-Musik-Unterrichtsstunden dürfte die aktuelle Version aber dennoch hilfreich sein.

Was wir zu Lehren, Lernen und Didaktik zusammen getragen haben, gebe ich an dieser Stelle nur stichpunktartig wieder:

Schüler*innen

Lernen in Stichwörtern:

eigenständig ∙ kreativ ∙ beobachtend ∙ führend ∙ wissbegierig ∙ neugierig ∙ unsicher ∙ talentiert ∙ motiviert ∙ interessiert ∙ konzentriert ∙ ideenreich

Lehrer*innen

Lehren in Stichwörtern:

passiv ∙ beobachtend ∙ interessiert ∙ lobend ∙ zuhörend ∙ vertrauensvoll ∙ gleichberechtigt ∙ anleitend ∙ moderierend ∙ zulassend ∙ motiviert ∙ motivierend ∙ wertschätzend ∙ respektvoll ∙ integrierend

Didaktik

Die Vorbereitung und Organisation von Lehren und Lernen, inkl. Infrastruktur in Stichwörtern:

vorausschauend ∙ technisch versiert ∙ Roten Faden gesponnen ∙ strukturiert ∙ Grundgerüst aufgestellt und Freiraum gelassen ∙ gut vorbereitet ∙ Equipment startbereit gehabt ∙ Lernziele gesteckt ∙ Unterrichtsablauf erstellt ∙ Anschluss an Curriculum hergestellt

Ressourcen

Informationen, Technologien und Lernprodukte in Stichwörtern:

Tablets ∙ Apps ∙ Musikinstrumente ∙ Alltagsgegenstände ∙ Geräusche

Erkenntnisse

Erkenntnisse hatten wir viele. Ist ja klar. Für die zusammenfassenden Folien habe ich mich für die folgenden entschieden:

  • Transparenz Klarheit Orientierung schaffen und bieten ∙ Lernprozesse und -ziele initiieren, fokussieren, moderieren
  • Lernen in Freiräumen vielfältig, selbstorganisiert, bunt, experimentell, spaßig, mobil, kollaborativ gestalten (lassen)
  • Der Präsentationsphase im Vorfeld mehr Zeit bei der Planung einräumen, klare Strukturen festlegen ∙ Körperhaltung und -ausrichtung

Diese Aspekte sind in meinen Augen wesentlich, um die Schüler*innen in offenen mobilen Lernsettings möglichst gut zu strukturieren und um ihre Handlungskompetenzen, ihre kulturellen Praktiken, ihr Wissen und ihre Interessen im Sinne des Lernziels zu fokussieren.

Tipps & tricks

Die tipps & tricks haben den Zweck, die Erkenntnisse, die Lehrer*innengruppe im Laufe des Reflexionsprozesses gewonnen hatte, in handhabbaren Handlungsoptionen abzubilden. Worauf kam es der Lehrer*innengruppe dabei besonders an? In erster Linie auf Möglichkeiten, den Schüler*innen während des Unterrichts Orientierung bieten. Entsprechend sind die tipps & tricks im Wesentlichen auf die Bereiche der Unterrichtsstunde bezogen, in denen bei den Schüler*innen Unklarheiten entstanden waren, in denen sie nicht wussten, dass sie angesprochen waren oder aktiv werden sollten oder in denen Gruppendynamiken drohten, die Lernaktivitäten zu dominieren. Sicher wäre es für die Schüler*innen auch schön gewesen, hätten sie am Ende der Stunde ihre Musikstücke oder Musikschnipsel mit nach Hause nehmen können:

Rollenverteilung der Lehrer*innen im Vorfeld klar strukturieren ∙ Ansprachen im Kreis vermeiden ∙ Gruppenaufteilung bedarfsorientiert gestalten und ggf. moderierend eingreifen ∙ Konkurrenzsituationen und Wettbewerbsdenken bei der Präsentation (und ggf. Kompositionsphase) zwischen Gruppen auflösen, Eigenheiten fördern, Schüler*innen verdeutlichen, dass jedes Werk für sich gut ist und nicht gegeneinander bewertbar ist ∙ Kompositionen nach Ende der Stunde den Schüler*innen verfügbar machen (als Datei oder in SoundCloud o.ä.)

Mache ich Mobiles Lernen? M-Learning-Sprechstunde!

Sicher! Oder? Du benutzt doch iPads, um mit Apps Musik zu machen. Also mal sehen …

Let's talk about 'M'. Die M-Learning-Sprechstunde. (Judith Seipold)
Let’s talk about ‘M’. Die M-Learning-Sprechstunde. (Judith Seipold)

Die Sprechstunden der anwesenden Dozent*innen an Tag vier und fünf wurden eingerichtet, um die Praxisprojekte der Kursteilnehmer*innen zu begleiten, die sie in den kommenden Wochen konzipieren und als Abschlussprojekt umsetzen sollen. Also stand die Frage im Raum: Muss ich Mobiles Lernen machen? Oder mache ich schon Mobiles Lernen? Und wenn ja wie?

Per Definition (also per einer der vielen Definitionen, die es gibt; siehe Bild weiter unten) realisieren die Kursteilnehmer*innen in ihren Praxisprojekten Mobiles Lernen. Sie nutzen ja tragbare digitale Technologien für Lehren und Lernen. Punkt. Wichtig wäre jedoch aus meiner medienpädagogischen&handlungspraktischen&kulturtheoretischen Perspektive, dass nicht nur die Tragbarkeit der Geräte Mobiles Lernen definiert, sondern eben und gerade auch die Aktivitäten, die beim Lernen stattfinden, die Orte, an denen gelernt wird, die unterschiedlichen Lernformen, die Öffnung von Lernräumen, die Konnektivität zwischen Geräten. All das ist Teil Mobilen Lernens. All das wird durch die Nutzung von Mobiltechnologien zum Lernen möglich (einiges dazu hatte ich auch im Fazit meines Blogartikels über den letzten tAPP-Durchgang geschrieben).

Einige zentrale Definitionen Mobilen Lernens (Judith Seipold 2011).
Einige zentrale Definitionen Mobilen Lernens (Judith Seipold 2011).

Das ist für M-Learning-Einsteiger manchmal nur schwer nachzuvollziehen (Aber zum Mobilen Lernen muss ich doch viel mehr mit Technik und Apps und so …!) und schwer genug umzusetzen (wieviel Freiraum kann und muss ich beim Mobilen Lernen lassen und wie handhabe ich das in der Praxis?). Und so möchte ich den Kursteilnehmer*innen sagen: Ihr habt bereits Mobiles Lernen umgesetzt. Schaut Euch einfach noch einmal die Beschreibung von Lehren, Lernen und Didaktik an, die wir in der Reflexion der Unterrichtsstunde erarbeitet haben (steht weiter oben und liegt in google drive) und führt Euch noch einmal vor Augen, wie vielfältig Mobiles Lernen ist, sein kann und sogar sein muss. Jetzt müsst Ihr nur noch dafür sorgen, dass das Lernen, das Ihr initiiert, „zeitgemäßes“ Lernen bleibt und im Idealfall auch nachhaltig ist – institutionell gesehen und auf die einzelnen Lerner*in bezogen. Dann wird alles gut …

Kann die nicht mal endlich …? Schluss jetzt!

Na gut. Die obligatorischen Worte zum Schluss. Die mit wichtigen Ratschlägen und tiefsinnigen Appellen und so. Los geht’s!

Judith’s Lament

Ich meckere ja gerne über Mobiles Lernen. Das ist bekannt. Meistens versuche ich aber, das stilistisch und inhaltlich doch noch produktiv abzuwenden. Aber meckern bleibt es trotzdem. Damit müsst Ihr leben:

Wird Mobiles Lernen so innovativ umgesetzt, wie es in der Theorie möglich wäre oder in best-practice-Projekten stattfindet? In der Tendenz nein (PimmerMateescu/Gröhbiel, Urs 2016). Denn: Mobiles Lernen findet nach wie vor vornehmlich in Form von zeitlich befristeten Projekten statt. Eine breite Implementierung in Lern-, Aus-, Weiter- und Bildungskontexte gibt es nicht. Fehlende institutionelle Unterstützung, mangelnde Erfahrungen, nicht vorhandene Finanzierungsmöglichkeiten, nicht hinreichender Techniksupport, fehlende Netzwerke, in denen sich Lehrpersonen über Fragen des Mobilen Lernens austauschen können, wenig kreative innovative Rollenverständnisse der am Lehr- und Lernprozess Beteiligten, kaum innovatives Verständnis von Lernen und fehlende adäquate didaktische Konzepte lassen Lehrpersonen an der Sinnhaftigkeit des Mobilen Lernens in der Praxis zweifeln. Sofern Mobiles Lernen dann doch stattfindet, fokussieren die meisten Einsatzszenarien die Distribution von Inhalten, behavioristisches oder instruktionistisches Lernen in Frontalunterrichtssettings, anstatt sich auf soziale Interaktion zwischen Lehrer*innen und Lerner*innen zu konzentrieren oder personalisiertes Lernen systematisch zu unterstützen. (Ebd.)

Dazu kommt, dass Mobiles Lernen oft nur unreflektiert umgesetzt wird und so Spannungsfelder und Brüche provoziert, statt die „seamless transition“, die nahtlosen Übergänge, beim Lernen zwischen unterschiedlichen Kontexten zu befördern. Vor allem wird das, was die Nutzung von Mobiltechnologien im Alltag ausmacht – also die Ausrichtung auf Konversation, Soziale Aktivitäten, Konsum, Unterhaltung – oft aus formalisiertem Lernen ausgeklammert. Dies geschieht zugunsten einer Technologiezentrierung. Sie überdeckt Leistungen, Können und Perspektiven der Lerner*innen auf Lernen mit Mobiltechnologien. Und nicht zuletzt ist Mobiles Lernen oft nicht nachhaltig konzipiert und läuft Gefahr, von der nächsten Technologiewelle überrollt zu werden.

Eigentlich ist Mobiles Lernen eher nicht so … (Judith Seipold 2015)
Eigentlich ist Mobiles Lernen eher nicht so … (Judith Seipold 2015)

Und so kommt es, dass mir im Laufe der Jahre, in denen ich mich mit dem Thema Mobiles Lernen auseinandersetze – und das tue ich nun schon seit fast 10 Jahren – deutlich wird, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Zusatz „Mobil“ in der Argumentation überflüssiges Anhängsel von Lernen und in der Diskussion weniger dominant sein wird. Aus mehreren Gründen. Einer könnte sein, dass es in Zukunft immer selbstverständlicher werden wird, dass Technologien tragbar sind. Ein weiterer, dass es schon jetzt in der Diskussion qualitativ und quantitativ deutlich um aktuelle und zeitgemäße Formen von Lehren, Lernen und Didaktik geht.

Pow!

Mobile Learning rules! Spaß! Personalisierung! Integration! Nachhaltigkeit! Wow! Tragbare digitale Technologien sind in Lern- und Bildungskontexten Ermöglicher, die ihresgleichen suchen. Sie sind die killer technologies für personalisiertes und lernerzentriertes Lernen. Lernen und Bildung mit Mobiltechnoligen macht nicht nur Spaß, sondern:

Die Geräte eröffnen den Lerner*innen zeit- und ortsunabhängiges Lernen. So können Lerner*innen mit den Geräten unterschiedliche Lernorte verbinden, vor allem, weil der Zugriff auf und die Verteilung von Informationen durch die Verwendung von Mobiltechnologien ortsunabhängig wird. Das kann die Produktivität und Effizienz beim Lernen steigern. Dazu trägt auch bei, dass sich über die Geräte der Zugriff auf eine schier unendlich große Menge an Lernressourcen eröffnet.

Auch bezogen auf Lernpraktiken, Lernprozesse und Lernstrategien ermöglichen die Geräte Vieles. Mobiles Lernen kann situiert, kollaborativ, personalisiert, lernerzentriert, interaktiv, konversationsbasiert u.v.m. sein – sofern die Lehrer*in das zulässt und Mobiles Lernen nicht mit z.B. Frontalunterricht mit Notebooks verwechselt. Zentral ist auch die Reichweite, die die Mobiltechnologien schaffen: Lernschwache Schüler*innen können durch die Nutzung der Mobiltechnologien motiviert und in Lernprozesse einbezogen werden, denen sie bisher nicht sehr aufgeschlossen gegenüberstanden. Sehr große Erfolge erzielt Mobiles Lernen z.B. auch in Zusammenhang mit der Förderung benachteiligter Personen, Personengruppen und Regionen. Und aus meiner Sicht besonders relevant ist die Tatsache, dass Schule sich über die Geräte für den Alltag der Lerner*innen öffnen kann. Wem das noch nicht reicht, der möge bitte einen Blick auf das folgende Bild werfen.

Mobiles Lernen ist toll! (Judith Seipold 2015)
Mobiles Lernen ist toll! (Judith Seipold 2015)

Und wen das immer noch nicht überzeugt: Lernen mit Mobiltechnologien muss nicht immer in erster Linie formalisiert, kontrolliert und instruiert sein – es darf sich subjektiv geprägt, ad-hoc und affektiv gestalten und sollte gerne mal subversiv, kreativ, situiert, partizipativ, multimodal, konversationsbasiert, spielerisch, ästhetisch, unkonventionell, progressiv, transformativ, diskursiv – einfach hochgradig personalisiert und subjektiv sinnstiftend sein. Und das ist es doch, was Lernen heute zu sein hat. Oder? Pow!

In 3’s

Trotzdem – oder gerade deshalb: Macht Euch bei Euren Projekten zunächst einmal über diese drei Punkte Gedanken, wenn ihr Mobiles Lernen durchführen und auch begründen möchtet:

  • Welche Arten von Mobilität werden in meinem Projekt durch den Einsatz von Mobiltechnologien gefördert? (Mobilität bei Bewegung, beim Lernen, bei Ideen, bei Konzepten … – siehe auch die Definitionen im Bild oben)
  • Was ist das Spezifische beim Musizieren mit iPads und Apps und warum kann ich für mein Projekt nur diese Technologien nutzen und keine anderen.
  • Welche Arten von Lehren und Lernen eröffnet mir der Einsatz von Mobiltechnologien, die über Frontalunterricht und Auswendiglernen im Klassenzimmer hinaus gehen?

Wenn Ihr Euch damit auseinandersetzt, seid Ihr auf dem besten Wege, Mobiles Lernen nicht nur im Sinne der Tragbarkeit der Technologien durchzuführen, sondern vor allem im Sinne von Lehren, Lernen und Didaktik. So tragt Ihr dazu bei, das Feld Mobiles Lernen noch bunter und vielfältiger zu gestalten und ihr steckt Rahmen für Mobiles Lernen ab, die Technik und Lerner*innen und Lehren und Lernen und Didaktik umfassen.

In diesem Sinne: Think mobile!

Referenzen

Pimmer, Christoph; Mateescu, M.; Gröhbiel, U. (2016): Mobile and ubiquitous learning in higher education settings. A systematic review of empirical studies. In: Computers in Human Behavior, Nr. 63, 490–501.

Seipold, Judith (2016b): Mobiles Lernen – was ist das? Mobiles Lernen für kulturelle Bildungsangebote verstehen, planen und kritisieren. (Invited Keynote.) Zertifikatskurs tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung, 12.-16. November 2016, Universität der Künste Berlin, Berlin.

Seipold, Judith (2016a): Mobiles Lernen verstehen, planen und kritisieren. Potenzial, Herausforderungen und Visionen für kulturelle Bildungsangebote. Online: http://musik-mit-apps.de/mobiles-lernen-verstehen-planen-und-kritisieren /// http://www.judith-seipold.de/2016/06/01/unter-app-musikern-mit-einem-kurs-zum-mobilen-lernen-in-der-kulturellen-bildung/

Seipold, Judith (2015): Mobiles Lernen. Praxis, Theorie und didaktische Optionen. (Invited Keynote). DAAD Lektoren-Jahresseminar “Mobilität – unterwegs in geographischen, virtuellen und fiktionalen Räumen”, 28. Mai 2015, La Bégude-de-Mazenc.

Seipold, Judith (2011): A critical perspective on mobile learning: Results of a heuristic analysis of the scientific process and a hermeneutic analysis of mobile learning practice. ‘Mobile learning: Crossing boundaries in convergent environments’ Conference, 21. März 2011, Bremen. Online: https://prezi.com/secure/3c7a728da1334e1ba2f4bab556133077ff86a0f6/. (Zuletzt geprüft: 30.03.2011).